von Lino
Wir sitzen im Bus. Das ist ja an und für sich nichts Ungewöhnliches, gerade wenn man bedenkt, dass wir unsere letzten beiden Länder auf dieser Tournee, Argentinien und Brasilien, von Anfang an nur per Bus bereisen wollten. Was diese Busfahrt so besonders macht, ist, dass es keine Fahrt ist. Wir stehen bereits seit etwa 2 Stunden auf der Straße zwischen Curitiba und Blumenau. In einem Stau. Anscheinend gab es gleich zwei Unfälle und daher ist die Straße ziemlich verstopft, was sich auch in absehbarer Zeit nicht ändern wird. Die anderen Fahrgäste und wir stehen dem aber relativ entspannt gegenüber, und wir haben bereits einen Professor für Antroposophie, Quantenmechanik und Pädagogik kennengelernt. Und während unsereins in den Büchern ließt, was Augusto Boal damals so gemacht hat, hat Jakob mit ihm auf den Straßen zusammen gegen die Militärjunta Theater gespielt. So ein Stau kann also auch sehr inspirierend sein, und daher nutze ich die Zeit, euch endlich mal wieder auf den neusten Stand zu bringen. Das letzte Mal, als ihr von uns gelesen habt, waren wir gerade in Villa General Belgrano angekommen, einer weiteren ehemaligen deutschen Kolonie in Argentinien. Und während in der Colonia Tovar in Venezuela noch ein mehr oder weniger einheitliches Bild badischer Volkskultur geboten wurde, war Belgrano ein buntes Konglomerat alpenländischer und mitteldeutscher Einflüsse. In der deutschen Schule spielten wir K.B.M. und gaben zwei Fortbildungen. K.B.M. ist schon etwas Besonderes. Nicht jede Schule hat ja einen Theatersaal, aber wir haben das Stück so konzipiert, dass wir es praktisch überall spielen können, solange wir einen, für die Kinder nicht einsehbaren, Backstage-Raum haben. Das stellt uns als SchauspielerInnen allerdings auch immer wieder vor Herausforderungen, denn meist kommen wir in einer Schule an, sehen den Auftrittsort zum ersten Mal und stehen eine Stunde später bereits auf der „Bühne“ vor 100 GrundschülerInnen. In Belgrano war es diesmal eine Turnhalle, mit 2 Türen in der hinteren Wand. Hinter einer war unser Backstageraum, von dem aus wir als kleine bunte Männchen auftauchen und auch wieder verschwinden. Leider sah die 2. Tür daneben ganz genauso aus wie die erste, war allerdings abgesperrt. Mein Charakter betritt normalerweise die Bühne, jagt Alex und den Kindern einen gehörigen Schreck ein, repariert eine zerbrochene Klarinette, singt ein Lied und verschwindet wieder. Diesmal habe ich absolut nicht verstanden, wer zum Kreuzgeier unsere Backstagetür zugesperrt hat, während ich auf der Bühne war. Etwa 30 Sekunden versuchte ich verzweifelt von der Bühne zu verschwinden, bis ich merkte, dass ich die ganze Zeit an der falschen Tür rüttelte. Meggi, die als zweite rauskommt, erging es ebenso, allerdings hat sie es geschafft, gleich die Klinke von der Tür abzureißen. Nur Anne war genügend vorgewarnt, und absolvierte souverän ihren Auf- und vor allem Abtritt. Nachdem wir einen bleibenden Eindruck hinterlassen hatten, ging es weiter nach Córdoba.
Dieses Städtchen mag den meisten nicht viel sagen, einer gewissen Gruppe von FußballanhängerInnen deutscher und österreichischer Herkunft jedoch bedeutet es überraschend viel. Die einen verbinden mit ihm den größten Sieg seit die Römer zurück über die Alpen getrieben wurden, die anderen, naja, sagen wir es so: „Das Wunder von Córdoba“ ist ein Film, der erst noch gedreht werden müsste. Wir empfanden die Stadt als überraschend schön. Nachdem wir unsere K.B.M.-Show und die Fortbildung für die LehrerInnen dort an der deutschen Schule gehalten hatten, lernten wir viele andere ImprospielerInnen kennen, besuchten ein Match de Impro und viele schöne Bars. Und während Alex die Gunst der Stunde nutzte, um mal eben kurz zurück nach Buenos Aires und zu seiner Rhythmik-Gruppe zu fahren, bestiegen wir einen Nachtbus, der uns nach Capiovi bringen sollte, einem sympathischen und verschlafenen Nest mitten in Misiones, der nordöstlichsten Region Argentiniens, direkt an der Grenze zu Brasilien und Paraguay. Dort war unser Hauptquartier für die nächsten Tage, denn sowohl in Capiovi als auch in Jardin America und Puerto Rico, 2 Städtchen wenige Kilometer entfernt, waren wir für Impro-Shows an Schulen gebucht.
Den Beginn machte die EPET Schule in Jardin America mit einer improvisierten Freiluftbühne auf dem Pausenhof. Der angereiste Tontechniker hatte für den Soundcheck seine eigene Reggaeton-Musik dabei und so entschieden wir uns kurzerhand, unsere Einlaufmusik ein wenig zu ändern. Am nächsten Tag hatten wir eine Show direkt in Capiovi, in einer sehr schönen und alten Gemeindehalle, die noch von deutschen Auswanderern in den 20er Jahren gebaut wurde. Bei dem Dia-Show-Spiel wurde Anne dann plötzlich zu Expertin eines lokalen Kartenspiels, das sie den SchülerInnen auf deren Wunsch erklärte. Nach dem Auftritt stellten wir alle überraschenderweise fest, dass sie tatsächlich die richtigen Regeln herbei improvisiert hatte, ohne jemals von dem Spiel gehört zu haben. Impro mit Gedankenlesen, jetzt neu von artig! Die letzte Show spielten wir dann in Puerto Rico, in einem wunderschönen alten Kinosaal. Nicht nur SchülerInnen waren im Publikum, sondern auch Einheimische aus der Stadt, von Kleinkind bis PensionistIn. Und nach dem das Publikum als Inspiration einer Alltagshandlung das Zubereiten eines Mates gewählt hatte und wir anfingen eine Szene zu improvisieren, in der ich nur durch einen Mate von einer schweren Infektion durch einen Gorilla-Käfer geheilt werden konnte, stand plötzlich ein Herr mit einem frisch zubereiteten Mate vor dem Bühnenrand und hielt ihn uns mit einem breiten Grinsen entgegen. Warum passiert sowas eigentlich nicht in Wien, wenn wir mal mit einem G`spritzten improvisieren?
Danach führte uns unsere Tour nach Posadas, der Hauptstadt des Bezirkes Misiones, wo wir am Instituto Gutenberg gleich zwei Auftritte hintereinander hatten, morgens K.B.M., und nachmittags „artige Geschichten“. Den Abschluss bildete dann eine tolle und ausführliche Fortbildung mit TeilnehmerInnen aus Argentinien und Paraguay. Bevor wir Posadas den Rücken kehrten, wurden wir noch von allen Kulturweit-Mädels, die wir in Misiones kennengelernt hatten, zu einem tollen Chilli-Essen eingeladen. Ein riesiges Dankeschön an dieser Stelle nochmal dafür!
Nachdem wir in dieser Woche so viel kreative Arbeit geleistet hatten, wollten wir uns endlich auch mal wieder selber kreative Arbeit bewundern. Und was gibt es Eindrucksvolleres, als wenn die Natur selbst kreative Arbeit leistet. Zum Beispiel die Iguazu Wasserfälle; ein brodelnder Hexenkessel aus über 20 Wasserfällen, die sowohl eine brasilianische als auch argentinische Seite haben, die man bewundern kann. So verbrachten wir drei entspannte Tage in einem sehr netten Hostel mit einem Haufen lustiger Backpacker, entspannten uns ein wenig, und ließen uns von der Urgewalt der Wassermassen den Atem verschlagen!
Und nun sind wir auch arbeitstechnisch in Brasilien angekommen, unserem letzten Land, das wir bereisen. Während ich dies schreibe, sind wir dem anfangs erwähnten Stau bereits entkommen und wohlbehalten in Blumenau angekommen. Im Gegensatz zu den anderen ehemaligen deutschen Kolonien, die wir bereits besucht hatten, sprechen hier auch noch überraschend viele junge Menschen Deutsch. Aber da die Landessprache natürlich Portugiesisch ist, hatte Alex gestern seinen ersten Auftritt als Carlos, der mit den Kindern auf Portugiesisch spricht. Abgesehen von einigen Kicheranfällen, die wir drei anderen Backstage hatten, weil sich diese Sprache einfach wirklich knuddelig anhört, gerade wenn ein paranoider Musiker von bunten Männchen redet, die ihn verfolgen, lief die erste K.B.M.-Show in Brasilien wirklich gut. Alex ist übrigens der Einzige von uns, der halbwegs flüssig Portugiesisch spricht. Aber während Anne die Sprache wenigstens verstehen und ein wenig sprechen kann, Meggi einfach auf Rumänisch mit meidlinger Akzent umschaltet und so tut als wäre es Portugiesisch, bin ich hier wirklich aufgeschmissen. Aber was im Alltag nicht funktioniert, klappt auf der Bühne perfekt: unsere zwei letzten Improshow, in der wir auch auf Portugiesisch gespielt haben, endeten mit Standing Ovations!
Brasilien, wir sind da!
Hasta luego bzw. até logo!